Exaggeration – Das Überzeichnen der Karikatur
Eine Einführung von Xi Ding
Die charakteristischer Züge eines Gesichtes können durch das Prinzip des Peak Shift verstärkt werden. Das ist die Grundlage für das Überzeichnen (Exaggeration) einer Karikatur.
Das Peak-Shift-Prinzip stammt aus der Wahrnehmungspsychologie und beschreibt, wie unser Gehirn auf übertriebene Merkmale stärker reagiert als auf das Original. Dieses Phänomen erklärt, warum eine Karikatur ihren Wiedererkennungswert nicht durch die Verzerrung der Gesichtsformen verliert, sondern ihn durch gezielte Überzeichnung (Exaggeration) sogar steigern kann.
Wie funktioniert Exaggeration?
Die charakteristischen Züge eines Gesichts werden vom Gehirn verarbeitet und anhand der Abweichungen von einem Durchschnittsgesicht erkannt.
- Jedes Gesicht besitzt individuelle Quantitäten, die es von anderen unterscheiden (z. B. Breite und Winkel der Augenformen, Länge und Winkeln eines Kinns).
- Unser Gehirn speichert nicht das Gesicht selbst, sondern vielmehr die Abweichungen zu einem Durchschnittsgesicht.
- Werden diese Abweichungen verstärkt, reagiert das Gehirn noch stärker.
Mit anderen Worten, der Wiedererkennungswert liegt nicht bei den absoluten Werten der Gesichtszügen, sondern bei ihren relativen Differenzen zu einem Durchschnittswert.
Vorgehensweise in der Praxis
Wenn die Abweichungen von einem Durchschnittsgesicht gezielt vergrößert werden, entsteht ein verstärkter Wiedererkennungswert – das Prinzip hinter jeder Karikatur.
Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Schauspielerin Amanda Seyfried. Um eine Karikatur von ihr zu zeichnen, vergleichen wir ihr Gesicht mit einem statistisch berechneten Durchschnittsgesicht europäischer Frauen. Dieses Durchschnittsbild wurde durch ein mathematisches Verfahren erstellt, das die Gesichtszüge vieler europäischer Frauen überlagert und zu einer neutralen Referenz vereint.

Gegenüberstellung – Amanda Seyfried und ein durchschnittliches Gesicht
Dabei müssen wir die hierarchische Methode befolgen, die im Teil 1 beschrieben wurde. Hier eine kurze Zusammenfassung
Schritt 1: Die grundlegende Kopfform
Schritt 2: Die proportionale Verteilung der Gesichtsteile
Schritt 3: Die Grundformen der einzelnen Gesichtsteile
Schritt 4: Detaillierte Formen der Gesichtsteile
Diese strukturierte Vorgehensweise hilft uns, die charakteristischen Merkmale gezielt zu analysieren und zu überzeichnen, anstatt das Gesicht willkürlich zu verzerren.
Schritt 1
Ihre Gesamtgesichtsform ist dem Durchschnittsgesicht sehr ähnlich, weshalb hier keine Übertreibung nötig ist.
Schritt 2
Beim Vergleich erkennen wir jedoch folgende auffällige Unterschiede in der Proportionen:
- Die Augen sitzen tiefer als beim Durchschnittsgesicht.
- Der Abstand zwischen den Augen ist größer.
Diese Abweichungen wollen wir nun gezielt übertreiben – die Augenlinie wird noch tiefer gesetzt, und der Augenabstand wird weiter vergrößert.

Die Gesichtsproportion von Amanda Seyfried wird übertrieben
Schritt 3
In den nächsten Schritten werden die Gesichtsteile skizziert und schrittweise detailliert ausgearbeitet.

Skizze der Karikatur von Amanda Seyfried anhand der Proportionslinien
Prüfung der Wiedererkennbarkeit
In Schritt 3 sollte die Karikatur bereits deutlich wiedererkennbar sein. Falls dies nicht der Fall ist, muss die Zeichnung überarbeitet werden, indem man die Grundform und Proportionen erneut überprüft. Oft liegt der Fehler darin, dass die ursprünglichen relativen Abstände und Größenverhältnisse falsch interpretiert wurden.
Finalisierung der Karikatur
schritt 4
Sobald das Grundgerüst stimmt, wird die Karikatur durch schrittweise Detaillierung vervollständigt. In diesem letzten Schritt werden die detaillierten Formen der Gesichtszüge sowie feine Merkmale wie Falten, Wimpern und Haarstrukturen hinzugefügt.
Der Prozess verläuft ähnlich wie bei einem klassischen Porträt, mit dem Unterschied, dass alle Details auf der Basis der überzeichneten Formen ausgearbeitet werden.